2. Interimsanalyse des IMMUNEBRIDGE-Projektes zur Kommunikation von vorläufigen Ergebnissen an das Modellierungsnetz für schwere Infektionskrankheiten

Abstract

Diese zweite Interimsanalyse stellt eine Datenzusammenführung von Daten verschiedener Studien (GUIDE, NAKO Gesundheitsstudie, MuSPAD, STAAB, paedSAXCOVID, Wü-KITa-CoV, Corkid, IMMUNEBRIDGE_ED) dar, die im Sommer 2022 von Juni bis Anfang September Erhebungen zur Immunität, zur Impfquote und zu stattgehabten berichteten Infektionen mit SARS-CoV-2 in Deutschland durchgeführt haben. Die hier beschriebene Interimsanalyse ist eine Weiterführung der Anfang August auf Zenodo (https://zenodo.org/record/6968574#.YzVkpkzP1PY) veröffentlichten ersten Interimsanalyse und beinhaltet die dort eingeschlossenen StudienteilnehmerInnen sowie zusätzliche später untersuchte TeilnehmerInnen aus den gleichen und zusätzlichen Studien. Die Ergebnisse sind zur Information von Modellierungskonsortien gedacht, um die entsprechenden Gruppen in die Lage zu versetzen, aktuelle Bevölkerungsdaten zur Parametrisierung nutzen zu können. Solche Ergebnissaufstellungen unterliegen keinem peer-review-Verfahren. Die hier vorgestellte Interimsanalyse ist mit deutlichen Limitationen versehen, z. B. in Bezug auf die Fallzahl in bestimmten Altersgruppen und bei Personen mit Vorerkrankungen sowie in Bezug auf Verzerrungen bei der Rekrutierung der TeilnehmerInnen der eingeschlossenen Studien. Diese Verzerrungen führen in allen Studien am ehesten zur Überschätzung von berichteten Endpunkten, wie dem Anteil der Personen mit Nachweis einer Immunantwort gegen SARS-CoV-2 oder dem Anteil der Personen mit stattgehabten Infektionen bzw. erhaltenen Impfdosen. Auf der anderen Seite ist auch eine Unterschätzung der Personen mit stattgehabter Infektion durch das Waning insbesondere von Antikörpern gegen das N-Antigen möglich. Diese Limitationen werden im Text nachfolgend näher diskutiert. Für die Datenzusammenführung wurde eine explorative Kategorisierung des bestehenden Schutzes gegen Infektion mit SARS-CoV-2 und schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung vorgenommen, welche stratifiziert nach Altersgruppen und Vorerkrankungen dargestellt wird. In dieser explorativen Kategorisierung sind Kinder und Jugendliche als Personen unter 18 Jahren zusammengefasst. Für diese Altersgruppe wird eine weitere in dieser Interimsanalyse nicht berücksichtigte altersstratifizierte Untersuchung mit eigener Kategorisierung erfolgen. Die für Erwachsene vorgenommene Kategorisierung in Gruppen mit unterschiedlichem Schutzniveau muss unter Zuhilfenahme von Literatur und Experteneinschätzung für jede neue Variante und jedes neue Setting entsprechend angepasst werden und unterliegt der Einschränkung, dass innerhalb von IMMUNEBRIDGE nur humorale Immunitätsmarker als Bestätigung von stattgehabten Expositionen abgebildet werden konnten. In Zusammenschau mit der bestehenden Literatur sowie der Infektionsdynamik im Zeitraum der Erhebung (Juni-Anfang September 2022) legen die erhobenen Daten nahe, dass in den meisten Altersgruppen bei einer Mehrheit der Menschen vermutlich ein moderater bis hoher Schutz gegen einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung (mit der zu diesem Zeitpunkt in Deutschland dominierenden SARS-CoV-2-Variante “Omikron BA.5”) besteht. Trotz hoher Prävalenz von Antikörpern gegen das S-Antigen (95%) und N-Antigen (48%) in der Bevölkerung scheint allerdings nur ein geringer Schutz in der Bevölkerung gegen Infektion mit der zu diesem Zeitpunkt in Deutschland dominierenden SARS-CoV-2-Variante zu bestehen, wie die stattgefundene Sommerwelle und die wieder ansteigenden Fallzahlen ab Ende September zeigen. Dies bedeutet, dass bei entsprechend veränderten SARS-CoV-2-Varianten auch weitere Infektionswellen mit relevanter Morbidität auftreten können. Außerdem zeigen sich relevante Lücken insbesondere bei Menschen mit Vorerkrankungen sowie in bestimmten Bevölkerungsgruppen und in verschiedenen Regionen von Deutschland. Erste Ergebnisse der Analysen für vulnerable Bevölkerungsgruppen mit schweren Vorerkrankungen aus Erhebungen in der Göttinger Notaufnahme (Studie IMMUNEBRIDGE_ED) deuten ebenfalls an, dass in Risikogruppen noch relevante Lücken in Hinblick auf den Schutz vor Infektion und schwerem Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion bestehen. Auch wenn der Anteil der Menschen mit geringem Schutz zunächst im Vergleich zur Mehrheit der Menschen mit hohem Schutz klein wirkt, so muss darauf hingewiesen werden, dass beispielsweise in der 4. Welle der Pandemie Ende 2021 die Infektion von nicht mehr als 4% bis 8% der Gesamtbevölkerung durch die Deltavariante von SARS-CoV-2 bereits zu einer deutlichen Belastung im ambulanten und stationären Versorgungssektor geführt hat. In den Ergebnissen dieser Interimsanalyse zeigt sich, dass 85% der Personen im Alter von 60 bis 64 Jahren, 64% der Personen im Alter von 65 bis 79 Jahren und 40% der über 79-Jährigen noch keine vierte Impfdosis erhalten haben (Tabelle 5). In der Altersgruppe der über 79-Jährigen haben 38% noch keine vier durch Antikörper bestätigten Expositionen (definiert als entweder Impfung mit Antikörpern gegen das S-Antigen oder Infektion mit Antikörper gegen das N-Antigen, mit einer der Expositionen in 2022) gehabt; bei 5% liegen noch keine drei Expositionen vor (Tabelle 3, Abbildung 2). Bei Menschen mit Vorerkrankungen hatten (abhängig von der Vorerkrankung) 47%-56% noch keine vier bestätigten Expositionen (eine davon 2022); 4%-8% hatten noch keine drei bestätigten Expositionen (Tabelle 3). Der Anteil der Menschen, die noch keine drei bestätigten Expositionen hatten, liegt in den Bundesländern zwischen 6% (Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen) und 20% (Thüringen; Tabelle 9, Abbildung 5). Relevante Unterschiede lassen sich auch zwischen Kindern und Jugendlichen auf der einen Seite und Erwachsenen auf der anderen Seite erkennen. Dabei weist der hohe Anteil an nicht geimpften Kindern (67%) auf die in dieser Altersgruppe eingeschränkte Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) hin, welche zunächst nur eine Impfempfehlung für Jugendliche und Kinder mit Grunderkrankungen war (Tabelle 5). Der Anteil an Personen mit selbst berichteten Infektionen ist bei Kindern und Jugendlichen mit 42% ähnlich hoch wie im Mittel der erwachsenen Altersgruppe (Tabelle 6), während der Anteil von Kindern mit Antikörpern gegen das nach Infektion gebildete N-Protein mit 66% der höchste von allen Altersgruppen ist (Tabelle 4). Ursachen für diese Diskrepanz könnten eine geringere Testwahrscheinlichkeit bei Kindern bei einer Infektion insbesondere in den ersten Phasen der Pandemie, ein höherer Anteil an oligo- bzw. asymptomatischen Infektionsverläufen in dieser Altersgruppe bzw. eine länger andauernde messbare Immunantwort nach solchen Verläufen und ein erhöhter Anteil von Kindern im Vergleich zu Erwachsenen mit einer Infektion in den kürzer zurückliegenden Infektionswellen sein. Eine weitergehende Interpretation der in dieser Interimsanalyse berichteten Daten in Hinblick auf unterschiedliche Szenarien für zukünftige Pandemieverläufe ist nur mit Hilfe infektionsdynamischer Modellierungen möglich, die auf Basis der besten Evidenz zu vielen verschiedenen Parametern einschließlich der hier berichteten Daten z. B. Szenarien für unterschiedliche theoretische SARS-CoV-2-Varianten evaluieren. Die Einbindung in aktuelle Modellierungsstudien, welche das Ziel der schnellen Bereitstellung eines vorläufigen Datensets war, konnte bereits im Rahmen der ersten Interimsanalyse in Zusammenarbeit mit dem Modellierungsnetz für schwere Infektionskrankheiten umgesetzt werden. Hierbei wurden durch unterschiedliche Modellierungsgruppen anhand von drei Szenarien  mögliche weitere Pandemieverläufe für diesen Winter skizziert (https://zenodo.org/record/7126032#.Yzamb3ZBw2x; DOI: 10.5281/zenodo.7126032). Weitere Daten innerhalb des IMMUNEBRIDGE-Konsortiums werden derzeit deutschlandweit erhoben bzw. analysiert.

Type
Publication
Zenodo